Wir leben in Zeiten, in denen kein Sinn mehr herrscht für das Drama der Existenz. Stattdessen herrscht das Diktat des Glücks. Wer nicht glücklich ist, hat im Grunde sein Mitspracherecht verwirkt, denn der eigene Zustand beweist in diesem Fall das eigene Unvermögen. Was will uns schon jemand erzählen, der es nicht einmal schafft, aus seinem eigenen Leben Glück herauszupressen? War man früher sensibel gegenüber der Tragik der Existenz, die vom Schicksal mit einem Husten weggewischt werden kann, so steht heute über allem das vermeintlich allmächtige Individuum. Und schon Maslow wusste: Die höchste Stufe von dessen Existenz ist die glückselige Selbstverwirklichung. Glück ist damit zur Währung der Wahrheit geworden; wer glücklich ist, hat Recht; wer leidet, sollte besser die Schnauze halten und sich Hilfe holen. Vor allem die Psychologen handeln mit dieser Währung. Der Leidensdruck, das Glück mit umgekehrtem Vorzeichen, ist ihr liebster Maßstab. Ist Leidensdruck vorhanden, dann ist der Patient hilfsbedürftig. Und nicht mehr für voll zu nehmen. Der Hilfsbedürftige hat durch sein eigenes Leiden unter Beweis gestellt, dass er es nicht kann. Jetzt sollte er also besser tun, was man ihm sagt, oder nein, so offen wird das ja nicht zugegeben. Er soll die Dinge natürlich selbst einsehen, nur sachte angestupst durch den weitsichtigen Psychologisierenden auf dem Stuhl gegenüber, der weiß, wo es langgeht. Wagt es der Patient, kritische Widerworte zu geben, wird süffisant die Spiegelkarte gezuckt: Wollen Sie etwa weiter leiden? Also! Schnauze halten und glauben! Und verinnerlichen: Sie sind selbst Schuld an ihrem kläglichen Dasein, ergo müssen auch Sie selbst alles zum Besseren wenden. Auf Hilfe von außen ist genauso wenig zu hoffen wie auf Hilfe von oben. Das ist die Einstellung hier. Scheiß Eltern gehabt? Vom Trainer falsch angefasst worden? In frühen Jahren ein Geschwister verloren? Ja, ja, tragisch, aber das gilt es nun ein für alle Mal zu verarbeiten durch eigenes Engagement und Positivität. Denn wer verdient schon Mitleid? Für den Wald-und-Wiesen-Patienten funktioniert dieses Spielchen vielleicht, aber der intellektuelle Patient, vor dem schon Freud gewarnt hat, der stellt natürlich Fragen. Und wenn er es nur für sich tut. Ist der esoterische Idiot in der Wohnung nebenan, der den Vollmund anbellt und sein Butterbrot energetisiert wirklich besser dran? Das fragt er sich. Man muss dem Typen lassen, er hat noch nie nachts um drei seine Freundin zusammengebrüllt und leidend sieht er auch nicht aus, wenn er mit bunten Hosen den Müll runterbringt. Aber wie kann man nur all diesen Quatsch glauben? Sieht er nicht den Abgrund? Für die Psychologen ist man jetzt in der Falle, denn durch das kritische Nachdenken über die Dinge hat man lediglich seine Abwehrreflexe an den Tag gelegt. Würde man das Glück zulassen wollen, würde man solche Gedanken nämlich gar nicht haben. Sie stehen sich mit ihrer Verkopftheit selbst im Wege! Dass man über ganz objektive Dinge nachdenkt, die seit jeher Teil des menschlichen Denkens sind, ist ganz egal. Stichwort: Leidensdruck, der übertrumpft auch existenzielle Fragen. Jedes noch so nachvollziehbare Leiden an der Existenz selbst, früher geradezu ein Ding der Vernunft, ist heute ein Ausweichen vor sich selbst, eine Verweigerung gegenüber dem Glück, und letztlich selbstverschuldete Schwäche. Fein raus ist nur der, der in der nüchternen und sinnlosen Alltagsexistenz sein Glück findet. Da mag am Horizont noch so offenkundig das schreckliche Nichts lauern. Muss einem egal sein. Haben Sie es mal mit Achtsamkeit versucht oder mit progressiver Muskelentspannung nach Jacobson? Haben Sie einfach mal geatmet? Eben!
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